„Wer seine Kreativität nicht lebt, wird krank“ – Interview mit Nathalie Bromberger

„Kreativität unterdrücken macht krank und traurig“

Nathalie Bromberger
Nathalie weiß nicht nur ziemlich viel über Kreativität – sie hat auch Humor.

Nathalie Bromberger ist Illustratorin, Autorin, Coach und außerdem Kreativitätsforscherin.

Was sie in ihrem Blog und ihren „Minibüchern“ zu dem Thema schreibt, ist immer wieder mitreißend und berührend.

Wir freuen uns sehr, dass wir sie für die Novemberausgabe unseres Newsletters Wanderbrief interviewen durften – und auch ein paar ihrer tollen Zeichnungen zeigen können!

wandern und schreiben (wus): Nathalie, du bist Autorin und Illustratorin, warst es aber nicht immer. Wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt bist?

Nathalie Bromberger (NB): Jetzt mache ich genau das, was ich immer schon machen wollte, aber mich nicht getraut habe, gleich zum Beruf zu machen. Statt dessen habe ich lange studiert und dann brav ein paar Jahre in den Niederlanden in der Wissenschaft gearbeitet und Ratgeber für Pflegekräfte geschrieben. In der Zeit habe ich etwas ganz Wichtiges über Kreativität gelernt: Wenn man sie nicht rauslässt, wird man krank.

KreativitaetUnterdruecken

Zum Glück haben meine drei kleinen Kinder mir damals erlaubt, mit ihnen zusammen zu malen und basteln und das hat mir sehr geholfen. Ich habe angefangen, Erfinderkurse für Kinder zu geben, das war grandios: Kinder haben so tolle Ideen und trauen sich, Risiken einzugehen. Danach wusste ich, dass ich keine Kompromisse mehr machen will. Seit acht Jahren wohne ich in einem kleinen Dorf in Ostholstein, weit weg von den Ablenkungen der Stadt und jeden Tag in Kontakt mit der allerbezauberndsten Natur. Hier habe ich endlich die Ruhe gefunden, an meinen Projekten zu arbeiten.

wus: Du schreibst und bloggst regelmäßig über Kreativität. Warum liegt dir das Thema so am Herzen, wie kam es dazu?

NB: Vor allem bei größeren Projekten habe ich regelmäßig mit kreativen Zweifeln zu kämpfen. Darum habe ich mir vor gut einem Jahr vorgenommen, mich systematisch von ihnen zu befreien. Nur dass das System noch nicht erfunden ist – ich erfinde es gerade für mich und berichte darüber in meinem Blog nathlieb.de  Ich hab mir dabei zum Ziel gesetzt, all die Ideen, die in meinen Schubladen liegen, zu Büchern zu machen. Mein Ziel war erst, sieben Bücher in sieben Jahren fertigzustellen. Nur kriege ich, seit ich mit der Kreativbefreiung beschäftigt bin, immer mehr Ideen und arbeite auch immer schneller. Das Sieben-Bücher-Ziel ist mir zu klein geworden. Mein Ziel ist jetzt vor allem, darauf zu achten, dass ich mit Spaß und guter Energie arbeite, und genau das tue, was mein Herz mir zuruft.

wus: Du bist also nicht nur selbst sehr kreativ, sondern gibst auch Hilfestellung zur Überwindung von Kreativitätshindernissen. Warum brauchen Menschen ihre Kreativität? Warum sollten sie sich an das manchmal mühsame Übersteigen solcher Hindernisse machen?

NB: Kreativität ist nicht nur ein Hobby, nicht etwas, das man tun oder lassen kann. Wir können unsere Wünsche, uns auszudrücken, zwar unterdrücken – aber das hat einen hohen Preis. Wir verlieren unsere Lebendigkeit. Ich arbeite ja auch als Coach mit Kreativen und sehe immer wieder, wie Menschen anfangen von innen zu strahlen, wenn sie sich selbst und ihrer Kreativität mehr Raum geben. Es ist, als ob sie davor in einer steifen Hülle durchs Leben gingen, in der sie sich nicht sicher fühlten. Und allmählich kommt Geschmeidigkeit in ihre Bewegungen, ein echtes Lachen aufs Gesicht. Glück eben. Kurzum: Kreativität macht sehr, sehr glücklich – es lohnt sich wirklich, um sie zu kämpfen!

wus: Kannst du uns die größten dieser Hindernisse einmal skizzieren? Sind die bei allen Menschen ähnlich?

NB: Zweifel an den eigenen Ideen und ihrem Wert. Die Angst, sich lächerlich zu machen. Die meisten von uns haben so früh in ihrem Leben erfahren müssen, dass die Umgebung ihre Kreativität nicht wertschätzt. Kreativität geht nicht ohne Anderssein, ohne Schmutz, ohne Missverständnisse. Und viele Eigenschaften, die zur Kreativität gehören, sind in unserer Kultur negativ besetzt – ich habe in meinem Blog gerade eine Serie, in der ich Oden an diese Eigenschaften schreibe. Sie haben verdient, dass wir sie wertschätzen. Wir sind also von frühster Jugend an daran gewöhnt, bestimmte Teile von uns selbst abzulehnen. Wenn wir uns mit diesen Aspekten versöhnen, sie uns wieder aneignen, dann kommt die Kreativität von selbst.

wus: Wer sich auf den Weg zu seiner oder ihrer Kreativität machen will, sollte sich mit Urteilen oder Grundannahmen über die eigene Person, Lebensweise, Arbeitsweise … auseinandersetzen – so verstehen wir viele deiner Artikel. Was kann dabei helfen?

NB: Zeit und Raum zum Spielen. Eine Umgebung mit anderen, die sich auf denselben Weg machen. Wandern und Schreiben scheint mir dafür eine geniale Kombination – ich merke immer wieder, wie mir die Natur hilft, den Alltag zu vergessen, all die scheinbar wichtigen Dinge, in die wir alle eingespannt sind. Und wahrzunehmen: den Wald riechen, die Wiese unter den Füßen fühlen, Grillen hören. Das finde ich so eine wichtige Erkenntnis der Gestalttheorie: Wenn wir gewahr werden, was wir spüren, was in uns und um uns los ist, dann werden wir lebendig, wissen, was wir brauchen und wollen. Dann kommt von selbst der Wunsch, das umzusetzen. In welcher Form – ob künstlerisch oder indem wir ein Projekt gründen, etwas erfinden, die Welt verändern – das ergibt sich dann aus unseren Wünschen heraus.

wus: Hast du einen Tipp für uns – was ist deine bewährte Soforthilfe für kreative Blockaden?

NB: Raus gehen! Mich auf die Wiese legen oder auf einen Baumstamm im Wald setzen und bewusst atmen, bis ich mich wieder richtig spüre. Leider ist es immer noch nicht mein erster Impuls. Oft hol mir statt dessen erst mal einen Kaffee, schicke ein paar Mails oder klicke auf Schuhreklamen. Bis ich mich dann erwische und mir einen Tritt in den Hintern gebe. Kaum bin ich draußen, rieche die Natur, komm‘ ich zu mir. Und meistens wird mir dann bewusst, wie verkrampft ich davor an meinem Projekt gearbeitet habe und dass die Energie so gar nicht strömen konnte.

wus: Merci, Nathalie, für das Gespräch. Wir freuen uns auf weitere Artikel und Minibücher von dir und natürlich auch auf deine „großen“ Bücher!

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