Umweltverträglicher Bergtourismus – geht das überhaupt?

Tourismus zerstört, was er verkauft. Das gilt ganz besonders für den Bergtourismus. Denn der findet in ökologisch sehr empfindlichen und für die Folgen des Klimawandels besonders anfälligen Naturräumen statt. Gleichzeitig: Ich liebe die Berge, und auf meinen sommerlichen Bergtouren tanke ich Kraft für ein ganzes Jahr. Wie lässt sich das daraus entstehende Dilemma auflösen? Darüber habe ich diesen Text geschrieben – der auch die sehr persönliche Geschichte meiner Beziehung zu den Dolomiten erzählt.

1972, ich war vier Jahre alt, fuhren meine Eltern mit mir in die Dolomiten. Eine bewusste Erinnerung daran habe ich nicht. 2011, mit mittlerweile 43, reiste ich wieder dorthin, um einige Etappen auf dem Dolomiten-Höhenweg Nr. 2 zu gehen – von Brixen durch die ladinischen Dolomiten bis zum Lago Fedaia an den Fuß der Marmolada. Der Blick von der Puez- hinüber zur Fanes-Gruppe, vom Grödner Joch auf den Langkofel und die Sella, vom Gipfel des Piz Boé zur vergletscherten Marmolada – meine intensive Liebe, dieses überwältigende Gefühl von „Ich will hier nie wieder weg“ angesichts all der ausdrucksstarken Bergschönheit um mich herum, überraschte mich selbst.

Auf dem Rückweg nach Düsseldorf besuchte ich meine Eltern. Sie zeigten mir die Fotos von unserer gemeinsamen ersten Dolomiten-Reise: Meine Mutter und ich sitzen auf einer Wiese am Grödner Joch und blicken Richtung Langkofel. Unser Familien-Audi steht in Sankt Kassian, im Hintergrund die mächtige Fanes-Wand. Und ich realisierte: Meine entrückte Begeisterung angesichts der „bleichen Berge“ war ein tiefes, großes Wiedererkennen gewesen – eine Neu-Begegnung mit Bergbildern, die ich schon als kleines Mädchen gesehen hatte.

1972: Meine Mutter und ich sitzen am Grödner Joch und schauen auf den Langkofel
2012: Mein Wiedersehen mit dem Langkofel, vierzig Jahre später
Freizeitkonsumenten auf der Jagd nach dem letzten Kick

Seither bin ich jeden Sommer in unterschiedlichen Regionen der Dolomiten unterwegs gewesen, meistens mit dem Rucksack von Hütte zu Hütte. Ich kenne viele Scharten, Grate, Wege, Klettersteige – und die markanten Dolomiten-Gipfel und -Gruppen von allen möglichen Seiten und mit Namen. Ich habe auf einem Bergbauernhof im Gadertal gelernt, Kühe zu melken und Ställe auszumisten, viele Menschen kennengelernt, die dort leben, und auf meinen Wanderungen noch mehr Menschen aus der ganzen Welt getroffen, die die Dolomiten ebenso sehr lieben wie ich.

Und dann das: Im Sommer 2022 besuche ich an einem heißen Julitag das Ripa-Museum in der Burg Bruneck. Es gehört zu den sechs Messner Mountain Museen und zeigt Geschichte und Lebensweise der Bergvölker dieser Welt. In einem der Ausstellungsräume lese ich auf einer Tafel: „Vor 12.000 Jahren, mit der Gletscherschmelze nach der letzten Eiszeit, kamen die ersten Jäger in die Berge. Ihnen folgten 5.000 Jahre später die Bauern, die von festen Winterplätzen aus die hochgelegenen waldfreien Weideflächen nutzten. Diese Alphirten der Bronzezeit – Halbnomaden – wurden von Selbstversorgern, den ‚freien‘ Bauern abgelöst. Seit die Berglandschaft – einst unwegsam und voller Gefahren – idealisiert und von den Städtern als einzigartiger Erholungsraum angesehen wird, sind Freizeitkonsumenten dort auf der Jagd nach dem jeweils letzten Kick: mit Kajak, Bike und Wanderschuhen.“ Ich schlucke. Damit bin dann wohl auch ich gemeint.

Im Messner Mountain Museum Ripa auf der Burg Bruneck: Hier dreht sich alles um Geschichte und Lebensweise der Bergvölker dieser Welt.
Inszenierte Natur

Am nächsten Tag besuche ich oben auf dem Kronplatz, dem Hausberg von Bruneck mit 2.275 Metern Höhe, das Corones, ebenfalls eines der Messner Mountain Museen. Das Wetter ist gut, die Sicht reicht weit. Alpenhauptkamm und die zentralen Dolomiten breiten sich vor mir aus. Die Bergdohlen fliegen in großen Gruppen, die Paraglider auch.

Das Museum, entworfen von Star-Architektin Zaha Hadid, widmet sich der Geschichte des traditionellen Alpinimus – den Reinhold Messner als „Dorthin gehen, wo alle anderen nicht sind, und auf viele technische Hilfsmittel verzichten“ definiert. Das Museum ist klein, minimalistisch gestaltet, bloße Betonwände, lange Blickachsen, wenige Ausstellungsstücke, viele Zitate und Merksätze an den Wänden. Der alpine Geist, in dem Reinhold Messner unterwegs ist und den das Museum auch intensiv ausstrahlt, zeugt von sehr viel Respekt und Demut gegenüber der Bergwelt und den Menschen, die in, von und mit ihr leben.

Der Fokus liegt gleichwohl auf der Bergwelt draußen, die dem Museumsbesucher immer wieder präsentiert wird – zu sehen durch riesige Fenster am Ende von langen Gängen. Wie durch Tunnel werden die Besucher zu diesen Bergbildern hingeführt und können sie als Kunstwerk bestaunen, geschützt vor Wind und Wetter. Hier wird Natur in Szene gesetzt, der Mensch kann sie gefahrlos betrachten. Er musste sich noch nicht einmal anstrengen, um hierher zu gelangen. 8 Seilbahnen, Gondeln und Lifte mit einer Kapazität für 23.520 Menschen pro Stunde erreichen das Gipfelplateau des Kronplatz von allen Seiten. Dort sieht es aus wie auf einem Weltraumbahnhof – Shopping-Malls, Gastronomie und Kinderhüpfburgen inklusive. Die Seilbahnbetreiber haben das Museum finanziert. Ihr Ziel: die Bergbahnen auch im Sommer stärker auszulasten, nicht nur im Winter.

Tunnel im Berg: das Messner Mountain Museum Corones zur Geschichte des traditionellen Alpinismus
Natur als Ausstellungsstück: Vom Museum reicht der Blick weit bis zum Peitlerkofel und zur Puez-Geissler-Gruppe.
Die Gipfelstationen diverser Seilbahnen und Gondeln auf dem Kronplatz
Erschlossen für den Massentourismus: Die Gipfelbahnen des Kronplatz können 23.520 Menschen auf den Berg bringen – pro Stunde.
Minimalistische Gestaltung im Inneren des Messner Mountain Museum Corones
Alpine Widersprüche

Ich empfinde es als starken Widerspruch, dass wir Bergtouristen einerseits im Museum in Bruneck als „Freizeitkonsumenten“ bezeichnet werden, die „auf der Jagd nach dem jeweils letzten Kick: mit Kajak, Bike und Wanderschuhen“ unterwegs sind – die Abwertung, die zwischen diesen Zeilen hängt, ist deutlich zu spüren. Gleichzeitig werden wir hier oben massiv darin bestärkt, genau das zu sein: Freizeitkonsumenten auf der (bequemen) Suche nach dem Kick, den die Berge uns bieten.

Widersprüche finde ich jedoch auch in mir selbst: Ich liebe die Berge, ihre hohe (Relief-)Energie, die mich in die Klarheit meines Willens und die Kraft meines Körpers bringt. Wenn ich in den Bergen unterwegs bin, fühle ich mich frei von den komplexen Alltagsanforderungen und gleichzeitig intensiv verbunden mit mir selbst. Reduziert auf das Wesentliche (Laufen, Essen, Schlafen, Weiterlaufen) spüre ich, dass ich ein winziger Teil des Universums bin, in dem alle anderen Teile und Elemente des Kosmos genauso mitschwingen wie ich in ihnen. Ich darf hier sein. Andererseits trage ich durch meine Anwesenheit in dieser wunderbaren Bergwelt mit dazu bei, sie zu zerstören. Weil ich hier bin, verändert sie sich in einer Art und Weise, die ihr nicht entspricht.

Auf der Suche nach der Stille die Stille zerstören

In den letzten zehn, zwölf Jahren ist die Zahl der Bergtouristen in den Alpen sehr angestiegen. Berghütten wie beispielsweise die Antermoia-Hütte in der Rosengarten-Gruppe oder die Boé-Hütte in der Sella-Gruppe sind wie viele andere auch stark erweitert und modernisiert worden. Wo es vorher nur 20 Schlafplätze gab, finden nun 100 Menschen Unterkunft, Warmwasser und Steckdosen neben ihrem Bett. Das lockt immer mehr Menschen an. Die Stille und Magie der Orte gehen verloren – sämtlichen Naturschutzbemühungen zum Trotz.

Inschrift auf einer Glastür des Messner Mountain Museum Ripa in Bruneck

Weil ich die stillen, abgelegenen Orte suche, an denen nicht hunderte Menschen um mich herum sind und dafür sorgen, dass der Stresspegel hoch bleibt, weiche ich aus. Ein paar Tage nach dem Besuch der beiden Museen bin ich in den Friaulanischen Dolomiten unterwegs – von Sappada nach Pieve di Cadore auf dem Dolomiten-Höhenweg Nr. 6. Hier gibt es weder Aufstiegsanlagen noch sanfte, hochgelegene Pässe, von denen aus die Scharten und Gipfel gut zugänglich sind. Dafür jede Menge sehr lange und steile Auf- und Abstiege, heikles, brüchiges Gelände, abgestürzte Wege, verschwundene Markierungen. Eine bergsteigerische Herausforderung, definitiv nichts für Anfänger. Auf den Hütten sind nur wenige Menschen, tagsüber treffe ich allerhöchstens eine Handvoll Mitwanderer. Das ist Bergwandern, wie ich es mir vorstelle.

Und gleichzeitig weiß ich: Mit jedem Schritt, den ich in diesem Gelände gehe, sorge ich dafür, dass es sich verändert, dass es zerstört wird, dass es nie mehr so sein wird wie in dem Moment, in dem ich meinen Fuß auf die Erde gesetzt habe. Denn meine Anwesenheit hier ist nur ein Zeichen dafür, dass nun auch andere Bergtouristen die stärker frequentierten Gebiete meiden und auf der Suche nach Ausweichmöglichkeiten möglicherweise hierher kommen. Sie bevölkern die Hütten, sorgen dafür, dass mehr Lebensmittel benötigt, Zufahrtswege verstärkt, Hütten ausgebaut werden – was natürlich die Begehrlichkeiten der Menschen vor Ort weckt, Teil dieser florierenden Wirtschaft zu werden, und ihnen auch niemand verübeln kann. Wer bin ich, darüber zu klagen, dass immer mehr „Freizeitkonsumenten“ in die Berge strömen? Ich bin ja selbst eine von ihnen.

Verzicht auf Bequemlichkeit

Was kann helfen? Ich hätte da ein paar radikale Ideen: Die Alpen für den individuellen Auto- und Motorradverkehr sperren. Auf den Straßen nur öffentlichen Personennahverkehr zulassen. Den Zugang zu den Bergen an sich so schwer wie möglich machen. Keine Gondeln, keine Lifte, keine Bergbahnen. Wer hoch will, soll zu Fuß gehen. Kein Erlebnis-Tourismus, kein Fun, keine Downhill-Trassen, keine Skipisten. Realistisch und durchsetzbar sind diese Ideen nicht, jedenfalls nicht kurzfristig. Zu sehr sind die Menschen in den Bergen vom Tourismus abhängig.

Was bleibt? Augenmaß walten lassen und so bewusst wie möglich in den Bergen unterwegs sein. Ich reise in den allermeisten Fällen mit der Bahn an und vor Ort mit den öffentlichen Verkehrsmitteln umher. Seilbahnen benutze ich nur im Notfall und ziehe die Hütten vor, die abgelegen und weniger stark frequentiert sind. Meinen Müll nehme ich wieder mit ins Tal, das Handy lade ich mit der Powerbank. Skifahren gehört schon lange der Vergangenheit an, ich bewege mich nur noch zu Fuß im Hochgebirge. Durch ehrenamtliches Engagement wie zum Beispiel für die Südtiroler Bergbauernhilfe versuche ich, den Menschen vor Ort und dem Land etwas zurückzugeben.

Und ansonsten: Aushalten, dass wir „Freizeitkonsumenten“ sind, die das zerstören, was sie lieben. Aushalten, dass die Antwort auf die Frage, ob ein umweltverträglicher Bergtourismus unter den derzeit herrschenden Bedingungen möglich ist, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit „Nein“ lautet. Uns immer wieder bewusst machen, dass wir begrenzte Ressourcen nicht grenzenlos verbrauchen können. Und gleichzeitig unermüdlich versuchen, den Grad der Zerstörung zu reduzieren.

Vielleicht hilft dabei auch dieser Gedanke: Der Verzicht auf Bequemlichkeit nützt nicht nur der Natur, sondern auch uns selbst. Schließlich resultieren die meisten Zivilisationskrankheiten auch aus der etwas trägen Gemütlichkeit, mit der wir uns überall hin transportieren lassen. Wer einen Berg zu Fuß hinaufgeht, tut sich selbst weitaus mehr Gutes als jemand, der sich hinauffahren lässt.

Das bin ich – sehr glücklich hoch über dem Abteital, im Hintergrund Marmolada, Puez-Geissler-Gruppe und Langkofel.

4 Kommentare zu „Umweltverträglicher Bergtourismus – geht das überhaupt?“

  1. Liebe Dorothee,
    ja, genauso geht es mir auch immer, wenn ich in der Natur unterwegs bin – nicht nur in den Bergen. Eine blöde Zwickmühle, ich habe da auch keinen weiteren Rat. Zumal ich gern einmal länger in den Bergen wandern würde, obwohl ich überzeugtere Küstenliebhaberin bin. Da würde ich wohl ohnehin auf sehr ausgetretenen Pfaden bleiben, und das ist gut so.
    Ich finde es auf alle Fälle richtig, an den eigenen Stellschrauben zu drehen. Manchmal spreche ich allerdings Leute an (wenn sie z.B. hinter einem Verbotsschild in den Dünen sitzen, aber Spaß bringt mir das nicht). Aber das geht ja nur in Einzelfällen, nicht wenn 23tsd.+ gewollt und stündlich auf einen Berg gekarrt werden. Da bin ich völlig bei dir, das gehört verboten, und zwar am besten vor dem Bau. Die Idee mit dem Individualverkehr finde ich auch gut. Oder Kontingente? Doch dann weiß man schon wieder, wer dürfte: Die mit dem Geld nämlich.
    Im Frühsommer war ich im Schnalstal und bin mit dem Linienbus ganz ans Ende gefahren: Da war dann eine riesige Skistation mit Hotels in den Ferien, es sah gruselig aus, und ich habe mich gefragt, wer so sein möchte. Da war die Natur auf einen schmalen Grat beschränkt, im wahrsten Sinne des Wortes. Der Rückweg zu Fuß allerdings war super; ich habe ganz viele Blumen gefunden und bestimmt: Offenbar ist da im Sommer kaum jemand, weil es allen zu langweilig ist.
    Einmal war ich im Salzburger Land in einer Art Sporthotel (hatte ich gewonnen). Da guckte unser Zimmer auf einen Hang und es war wie in einem Computerspiel, völlig absurd: Eine kleine Straße führte im Zickzack den Berg hoch zur Seilbahnstation. Da fuhr gelegentlich ein kleiner Laster. Mountainbiker rasten eine andere Piste hopsend nach unten, auch im Zickzack. Ein paar Menschen wanderten hoch oder runter. Kühe liefen mal hier mal da. Über allem, von links nach rechts eine Zipline, an der menschliche Kanonenkugeln hinuntersausten. Von links nach rechts juckelte ein Sessellift. Es fehlte nur, dass wie am Screen Punkte aufleuchteten, wenn man sie vom Hotelzimmer aus mit dem Laserpointer traf. Da hatte ich das erste Mal ein Too-much-Gefühl.
    Noch zu den schicken Museen, Messner und der Inschrift: Das finde ich alles ganz schön doppelzüngig. Mitverdienen und sich genau darüber beschweren? Absurd scheint mir das.
    (Nun habe ich aber viel geschrieben!)
    Wunderbare Grüße
    Britta

    1. Wandern und Schreiben

      Liebe Britta,
      danke für diesen ausführlichen Kommentar! Deine Schilderungen hören sich echt bizarr an – ich habe solche Dinge auch schon gesehen, finde sie schrecklich und weiß gleichwohl keine Lösung. Ich persönlich versuche dann halt, die hochfrequentierten Gebiete zu meiden und dorthin zu gehen, wo der Zugang unbequem bis schwer ist. Da tummeln sich dann in der Regel keine Massen. Zu den Kontingenten: Die kann man ja auch kostenlos machen; habe ich in dieser Form schon auf einer kleinen autofreien Insel vor Fuerteventura erlebt. Da durften in einem Jahr nur 200 Menschen pro Tag drauf, man musste sich Tickets besorgen, die aber tatsächlich nichts kosteten. Fand ich gut. In anderen Gegenden bzw. Nationalparks dieser Welt wird der Zugang zu besonders schützenswerten Gegenden auch strikt reglementiert. Ist vielleicht wirklich ein Weg – der jedoch den lokalen Unternehmen nicht passen wird. Liebe Grüße!

  2. Der Bergtourismus ist schon oft nachhaltigerer Urlaub als anderer. Oft muss man wenigstens nicht fliegen für die Wanderreise. Per se ist man ja auch zu Fuß. Das finde ich umweltschonend an sich.

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