Menschen schreiben, um sich selbst auszudrücken. Seit Tausenden von Jahren. Ob als jugendliche Tagebuchschreiber, in Krisen- wie in glücklichen Zeiten, als spät Berufene oder routinierte Aufzeichner, quer durch alle Kulturen: Sie schreiben, um ihren Emotionen Worte zu verleihen, um ihre Gedanken zu sortieren, Sorgen loszuwerden, Spannungen aufzulösen, um sich zu erinnern, um Klarheit zu gewinnen und Entscheidungen zu finden. Sie schreiben in Tagebücher, Journale, Kladden, Dateien, auf Notizzettel, in Kalender.
Um die erleichternde und erlösende Wirkung des Schreibens zu erleben, muss niemand literarischen Ansprüchen genügen. Schreiben befreit Menschen, wenn sie dabei ganz frei sind – ohne Erwartungen, unzensiert von anderen und deshalb auch von sich selbst.
„Schreibend kommt man über die Dinge“ (Christa Wolf)
Wenn wir Emotionen und Gedanken zu Papier bringen – was passiert da eigentlich genau und warum wirkt es so befreiend auf uns?
Eine der schlüssigsten Antworten auf diese Frage verbirgt sich hinter dem Schlagwort Achtsamkeit – damit gemeint ist eine ganz bestimmte Haltung, die ein Mensch sich selbst und auch gegenüber seiner Umwelt einnimmt. Wohlwollend, interessiert, offen und akzeptierend schaut der achtsame Mensch auf das, was sich um ihn herum, aber auch in seinem Inneren abspielt. Entscheidend dabei ist: Er bewertet es nicht. Das, was geschieht, ist weder gut noch schlecht. Es geschieht erst einmal. Auch die eigenen Emotionen.
Schreiben übt diese achtsame Haltung gegenüber sich selbst und der Welt. Die eigenen Emotionen werden durch das Aufschreiben wie von außen betrachtet, mit zunehmender Geübtheit immer neutraler und wertfreier. So gelingt es immer intensiver, die eigene Gefühlswelt und die eigene Wahrnehmung als etwas zu sehen, das konstruiert ist, nicht zwingend so sein muss, sondern auch ganz anders erlebt werden könnte. Neue Erfahrungen und Lösungsmöglichkeiten für das, was belastet und quält, rücken in den Bereich des Möglichen. Es gelingt, eine gewisse Distanz zu den eigenen Emotionen aufzubauen. Sie gehen vorbei, diese Emotionen – sie sind nicht beherrschend oder gar bedrohlich. Und nur so lassen sie sich auch verarbeiten.
Schreiben bringt uns also dahin, unsere eigenen Gefühle zu tolerieren, Druck auszuhalten und letztendlich das besser zu bewältigen, was uns das Leben in den Weg wirft. Unsere Aufnahme- und Empathiefähigkeit wachsen. Wir gewinnen ein ruhiges, reflektiertes und verständnisvolles Bild von uns selbst – und können auch andere Menschen mit all den Facetten ihrer Persönlichkeit so sehen. Langfristig ändert sich durch diese achtsame Haltung unsere Wahrnehmung, das Erleben und Verhalten und letztendlich auch unsere Hirnstrukturen – ganz ähnlich wie bei Menschen, die regelmäßig meditieren.
Schreibritual: Dankbarkeit, Stolz und Vorfreude
Meditation und Schreiben haben eine große Gemeinsamkeit: Übung ist wichtig. Hat man es einmal geschafft, das Schreiben zur täglichen Routine zu machen, entfaltet sich die befreiende und erlösende Wirkung immer schneller. Hier ist eine Anregung zu einem Schreibritual, das nicht viel Zeit kostet, aber dennoch Deine Selbstwahrnehmung deutlich prägen wird.
- Besorge Dir eine schöne Kladde oder ein Notizbuch sowie einen Stift, mit dem Du gerne schreibst. Platziere beides neben Deinem Bett.
- Schreibe jeden Abend, bevor Du das Licht löschst, drei Dinge in Dein Notizbuch: Wofür bist Du an diesem Tag dankbar? Worauf bist Du stolz? Worauf freust Du Dich am nächsten Tag?
Es muss gar nicht viel Text sein – ein Wort, ein Satz zu jeder der drei Fragen genügt.
Viel Freude dabei!
Guter Tipp. Werde ich endlich mal nachmachen. Aber das Nicht-Werten muss ich wohl noch üben.
Der wertfreie Umgang mit sich selbst und anderen ist wirklich nicht so einfach zu erreichen. Aber. Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt – und diese Übung hier kann einer dafür sein.