In der abendländischen Denktradition werden Körper und Geist als getrennt, oft sogar gegensätzlich gesehen. Wer das Sagen haben soll, ist klar: der Geist natürlich, der den (willens)schwachen Leib antreibt oder zügelt. In Wirklichkeit sind Körper und Geist aber gar nicht zu trennen. Du hast es bestimmt selbst schon einmal erlebt, dass ein Spaziergang verfahrene Gedanken in Fluss bringt. Oder dass beim Zurückdenken an eine angstbeschwerte Situation der Körper wieder eng und starr wird. Körper, Emotionen und Gedanken sind also keine Antagonisten, sondern ein Team!
Zu diesem spannenden Thema, das auch uns sehr am Herzen liegt, haben wir uns mit zwei Frauen unterhalten, die sich mit dem Zusammenspiel von Leib und Seele bestens auskennen.
Christina Rappich ist Bodyworkerin und kennt Körper in allen Aspekten: Nach ihrer klassischen Ballettausbildung hat sie Massage gelernt – unter anderem am berühmten kalifornischen Esalen-Institut – und sich zur Yogalehrerin qualifiziert. Sofie Hein begleitet Menschen bei beruflichen und persönlichen Wachstumsprozessen. Sie ist Diplompsychologin, Systemische Beraterin nach Virginia Satir und hat eine Ausbildung in indianisch-schamanischen Heilweisen. Zusammen betreiben sie das DU FOR YOU, ein urbanes Retreat mitten in Berlin, in dem sie ganzheitliche Workshops geben.
w & s: Ihr kombiniert Coaching – also das, was landläufig eher unter „geistiger Arbeit“ verstanden wird – mit Körperarbeit. Warum?
Christina Rappich (CR): Die Idee, dass Geist und Seele getrennt sind und getrennt bearbeitet werden sollen, scheint uns unsinnig.
Sofie Hein (SH): Menschen sind doch eine Einheit aus Körper, Geist und Seele. Jedes Lebensthema findet sich auf jeder der drei Ebenen wieder, in unterschiedlicher Form. Der Zugang fällt leichter, wenn mehrere Türen geöffnet sind, mit jeder Ebene gearbeitet wird.
CR: Es gibt Menschen, die leichter über ihren Körper Zugang zur Seele finden. Anderen hilft die geistige Arbeit, ihren Körper wieder zu finden.
SH: Wenn man Körper, Geist und Seele anspricht, gibt es Wechselwirkungen.
CR: In der Kombination ergibt sich mehr als die Summe der einzelnen Teile. Die Arbeit ist viel wirksamer. Ich erlebe das bei den Massagen: Wer Zugang zum eigenen Körper hat, nimmt mehr Energie, Ausgeglichenheit, Selbstvertrauen und Lebensfreude wahr. Und das hat natürlich immense Auswirkungen auf alle anderen Potenziale!
SH: Was der Körper gelernt, erfahren hat, übernimmt der Geist fast von alleine. Sogar Dinge, die man kognitiv für unmöglich gehalten hat oder an die man schlecht herankam.
w & s: Man kann durch Körpererfahrung lernen?
SH: Ja. So wie der Körper vielleicht eine Einschränkung, eine Entwicklungsverhinderung gespeichert und gehalten hat, kann eine neue Körpererfahrung weiterwirken und produktiv auf andere Situationen im Leben übertragen werden.
w & s: In unseren wandern und schreiben-Workshops kombinieren wir Bewegung, Natureindrücke und Schreiben – damit sprechen wir das körperliche Erleben und den Geist an. Wie sieht das Zusammenspiel von Leib und Geist bei euch aus?
SH: Beim Coaching fühle ich mich in mein Gegenüber ein und empfinde mit. Ich achte darauf, ob Körper und Geist kongruent sind. Wenn jemand erzählt, zufrieden und entspannt zu sein, aber die Füße trappeln wie verrückt – dann wollen sie meistens etwas anderes sagen. Oder umgekehrt kann jemandem auch sein zufriedener, entspannter Körper nicht bewusst sein, wenn er es gewöhnt ist, auf Probleme zu gucken. Der Körper weiß oft etwas ganz anderes als der Geist.
CR: Wir teilen die Zeit auf in Körperarbeit – Yoga und Massage – und Coaching. Im Körperpart wird meist schnell klar, wo es eng ist, wo Verspannungen sind und welche Körperteile nicht kommunizieren oder wo es sich leicht anfühlt und Freude aufkommt. Welche Bilder auftauchen. Solche Signale helfen, herauszufinden, wo man gerade steht. Das Tolle ist, dass man sich selbst mit Sicherheit näher kommt und herausfindet, was die eigenen Themen sind, ohne dass man dafür etwas „können muss“!
SH: Der Körper speichert geistige Themen. Wenn ein Thema auf körperlicher Ebene in der Massage berührt wird, kann es im anschließenden Coachinggespräch leichter benannt werden. Die Erkenntnisse und Erfahrungen, die man während der Körperarbeit gemacht hat, können durch das Coaching bewusster gemacht, geordnet und integriert werden.
w & s: Dabei kommt es aber wahrscheinlich auch auf Übung, auf Wiederholung an …?
CR: Ja. Eine Körperarbeit-Coaching-Einheit bei uns kann nur die Initialzündung sein, langfristig etwas zu verändern und in ein regelmäßiges Tun zu kommen. Nur so kann wirkliche Wandlung geschehen.
w & s: Was können Menschen tun, die ihren Körper und Geist bei Erkenntnis- und Veränderungsprozessen unterstützen wollen?
SH: In den Coachings zeigt sich oft klar, was jemand braucht, auch, was der Körper braucht. Etwa bezogen auf Ernährung, oder der Wunsch, sich mit mehr oder weniger von etwas – Farben, Dinge, Menschen – zu umgeben. Wir besprechen dann, wie es am einfachsten ist, solche Veränderungen im Alltag umzusetzen. Manchmal halte ich das schriftlich fest, wie ein Rezept – aber alles mit Lust, und Spaß.
CR: Ich rate den Menschen, etwas zu finden, bei dem sie mit ihrem Körper im Kontakt sind. Manchmal spezielle Yogaübungen, das können aber ganz verschiedene Dinge sein: von Karate über Wandern bis hin zu Tanzen. Wichtig ist, dass es Freude macht!