Geschichten, die bleiben – Rückblick auf 5 Tage wandern & schreiben auf Spiekeroog

Dieser Bildungsurlaub beginnt mit vielen leeren Blättern. Und mit Menschen, die sich fragen, ob sie überhaupt schreiben können. Am ersten Tag gibt noch vorsichtige Blicke und ein bisschen Zurückhaltung. Die Nordsee ist weit, der Horizont auch, und das eigene Notizbuch wirkt plötzlich sehr groß. Manche halten es lange fest, bevor sie es aufschlagen und über eine leere Seite streichen. Andere beobachten erst einmal die Gruppe. Schreiben – das ist für viele eine intime Sache. Erst recht das Vorlesen. Und doch sind alle hier, weil sie eine Sehnsucht mitgebracht haben: Nach Sprache. Nach Klarheit. Nach einem neuen Zugang zu sich selbst. Sie wollen den Stress hinter sich lassen, dem sie in ihrem Alltag oft ausgesetzt sind.

Zum Glück hat Spiekeroog seinen eigenen Rhythmus. Und der lässt niemanden lange zögern. Wir starten mit einem ersten Schreibimpuls. Kein Leistungsdruck, keine Bewertung – nur Worte, die kommen dürfen, so wie sie wollen. In der Ferne rauscht das Meer, Möwen ziehen ihre Kreise. Und plötzlich finden die ersten Worte aufs Papier. (Und natürlich muss niemand sie vorlesen. Wer will, darf.)

Wenn Worte gehen lernen

Spätestens am dritten Tag sind alle mittendrin. Schreiben und Gehen verschmelzen. In den Dünen, am Strand, im Wald, auf schmalen Pfaden kreuz und quer über die Insel. Worte sind wie Schritte – manchmal langsam tastend, manchmal leichtfüßig und voller Energie.

Manche Texte entstehen beim Innehalten: Ein kleiner Felsen wird zum Ruhepunkt, eine windgeschützte Stelle zwischen Sandhügeln zum Schreibplatz. Andere Geschichten begleiten uns unterwegs – sie entstehen im Rhythmus der Schritte, formen sich langsam, bis sie irgendwann später ins Notizbuch finden.

Am vierten Tag legen wir 20 Kilometer zurück. Zur Mittagspause sucht sich die Gruppe eine geschützte Stelle in den Dünen. Keiner stört sich daran, auf der Erde zu sitzen, dort zu essen und später zu schreiben. In diesen Tagen hat sich etwas verändert – es ist, als hätten wir verlernte Selbstverständlichkeiten zurückgewonnen. Essen, Schreiben, Sein – direkt in der Natur, ohne Barrieren, egal, ob es nieselt oder der Wind pfeift.

Und als später die Menschen aus der Gruppe ihre Texte vorlesen, ist es, als würde die Erde selbst zuhören.

Die Magie des Teilens

Wer schreibt, tut das oft für sich. Doch wer seine Worte teilt, erlebt, wie Schreiben verbindet.

Es gibt Momente, in denen ein Text einen Raum füllt. In denen Sätze ausgesprochen werden, die etwas in Bewegung setzen. Manchmal entstehen daraus Gespräche, die sonst nie geführt worden wären. Manchmal genügt ein Nicken, ein Lächeln, ein gemeinsames Schweigen als Reaktion.

Es gibt den Brief an den peitschenden Wind, der alle zum Lachen bringt.
Und den Text über eine längst vergessene Erinnerung, bei dem es still wird.
Es gibt das spontane Schreiben unter den Bäumen. Unter dem nächtlichen Sternenhimmel, mit der Milchstraße über uns, teilen wir das Gefühl, dass alles, was gedacht werden kann, auch geschrieben werden darf.

Ich begleite diesen Prozess als Dozentin – nicht mit starren Bewertungskategorien, sondern mit der Absicht, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen sich aufgehoben fühlen und mit sich selbst in Kontakt kommen. Mit Impulsen, die zum Entdecken einladen, und mit der Erfahrung, dass jede:r schreiben kann. Denn darum geht es: Nicht um perfekte Sätze, sondern um den Wunsch, schreibend mehr über sich selbst und andere zu erfahren.

Was bleibt?

Der letzte Morgen. Noch einmal das Rauschen der Wellen hören. Noch einmal einen Satz festhalten, bevor die Fähre ablegt.

Ich weiß, dass viele ihre Notizbücher noch lange nach dieser Woche wieder aufschlagen werden. Dass die Texte, die hier entstanden sind, weiterleben. Nicht nur auf Papier, sondern in den Gedanken, in den Erinnerungen, in dem, was sich durch diese Woche verändert hat.

Spiekeroog ist mehr als ein Ort – es ist ein Raum für Worte, für Stille, für neue Perspektiven. Und für Geschichten, die bleiben.

Dieser Beitrag schildert meine Eindrücke während des von mir geleiteten Bildungsurlaubs vom 28.10.–1.11.2024 auf Spiekeroog. Veranstalterin des Bildungsurlaubs war die Europäische Akademie für biopsychosziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung (EAG) in Hückeswagen. Es waren 11 Teilnehmende dabei.

So lautete der offizielle Ausschreibungstext: „Äußere Einflüsse im (Berufs-)Alltag wie Konflikte, Ärger, Leistungs- und Zeitdruck, Über- oder Unterforderung sind nur einige Ursachen für psychischen Stress, dies sich auf Körper und Geist durch Verspannungen und innere Unruhe auswirken können. Wandern in der einzigartigen Natur des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer auf der Nordseeinsel Spiekeroog mit ihren Sandstränden, Dünenlandschaften und Salzwiesen unterstützt dich dabei, Körper und Geist wieder in mehr Bewegung zu bringen. Kleine Schreibimpulse unterwegs wecken deine Kreativität. Bewegung und Natur erleben, der inneren Stimme zuhören und aufschreiben, was sie erzählt – darum geht es in dieser Bildungsurlaubswoche. Die erlernten Techniken des kreativen Schreibens als Stressprävention kannst du später in hektischen Phasen des beruflichen Alltags nutzen, um gelassener zu bleiben.“